Stellungnahme von Weihbischof Dr. Christoph Hegge zur aktuellen Flüchtlingspolitik

„Die christliche Botschaft ist in ihrem Kern die große Botschaft der einen Menschheitsfamilie, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Nach wie vor lösen Krieg und Verfolgung einen großen Flüchtlingsstrom in die reichen Länder Europas aus. Auch in unserer Region kommen tausende Menschen an, die ihre Heimat verlassen haben, um bei uns Sicherheit und Schutz zu finden. Dies stellt Politiker und Verwaltungen vor große Herausforderungen. Unzählige Menschen in unseren Städten und Dörfern helfen den Geflüchteten. Dafür bin ich sehr dankbar!

Vor allem muss es darum gehen, die Gewalt zu überwinden und den Krieg zu ächten. Zum Christentum gehört die Botschaft vom Ende der Gewalt. In der gegenwärtigen Situation sind wir Christen – gerade in einer Grenzregion – aufgefordert, daran mitzuhelfen, dass das große christlich geprägte Friedensprojekt Europa nicht zugrunde geht.

Dazu gehört, dass die EU-Außengrenzen keine Todesfallen sein dürfen. Das Mittelmeer mit seinen 25.000 gezählten und nochmals so vielen ungezählten Toten hat sich schon jetzt in das „größte flüssige Grab“ verwandelt. Das darf uns nicht kalt lassen. Denn es ist ein Skandal und eine Schande, wie es auch schon Papst Franziskus angemahnt hat.

Die österreichischen Pläne für eine Flüchtlings-Obergrenze und vergleichbare Forderungen in unserem Land sehen wir als katholische Kirche sehr kritisch. Christen dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die unendliches Leid erfahren haben und auf Hilfe angewiesen sind, vor verschlossenen Grenzen stehen. Für mich ist nicht erkennbar, wie eine Obergrenze umsetzbar sein soll. Das im Grundgesetz verankerte Individualrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention sind Errungenschaften, die wir nicht aufgeben dürfen. Hier ist Europa gefragt und seine Humanität herausgefordert. Der Schutz der Schwachen gehört unverbrüchlich zu den Grundpfeilern des christlichen Abendlandes – gerade dies sollten sich Populisten und Hetzer vom rechten Rand des politischen Spektrums vor Augen halten.

Die gegenwärtigen Fluchtbewegungen wecken in unserer Gesellschaft ein großes Maß an Solidarität, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, sorgen gleichzeitig jedoch auch für Gefühle der Verunsicherung, Ratlosigkeit und Überforderung. Auch dies ist mir sehr wohl bewusst. Christen fühlen sich sowohl den Flüchtlingen als auch den sozial schwächer Gestellten sowie dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtet.

Die Ängste und Sorgen von Teilen der Bevölkerung gilt es darum ernst zu nehmen: Die Exzesse in Köln und anderen Großstädten sind für unsere Gesellschaft zutiefst verstörend und können in keiner Weise toleriert werden. Wir brauchen eine genaue Aufklärung und eine deutliche Antwort des Rechtsstaates. Diese neue Form von Gewalt und vor allem der menschenverachtende Umgang mit Frauen können nicht hingenommen werden. Alle gesellschaftlichen Kräfte müssen gemeinsam daran arbeiten, solche Vorkommnisse zu verhindern und Sicherheit zu gewährleisten.

In gleicher Weise ist aber auch die Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte scharf zu verurteilen: Im vergangenen Jahr gab es nach Auskunft des Landesinnenministeriums 214 Straftaten, die in NRW gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte verübt worden sind. Im Vergleich zu 25 Taten in 2014 waren das acht Mal so viel. Hassparolen sowie gezielte Falschinformationen in sozialen Netzwerken schüren dabei offenkundig ein Klima aus Angst und Gewalt. Wenn die Analyse ergibt, dass rund 75 Prozent der Straftaten von Personen aus der Nachbarschaft oder der Region begangen worden sind, dann gilt es für alle Menschen guten Willens, hier aufmerksam und wachsam zu sein, mutig Missstände zu benennen und ihnen zugleich ein positives Zeugnis der Menschenfreundlichkeit und des Dialogs entgegenzusetzen.

Zu guter Letzt: Integration ist eine große Herausforderung, der wir uns auch als Kirche stellen wollen. Je mehr Menschen sich respektvoll begegnen, umso weniger Hass wird sein. Hier gibt es schon viele gute Initiativen in unseren Kirchengemeinden. Wenn nicht wir Christen glauben, dass Menschen verschiedener Kulturen zusammenleben können, wer sollte das sonst einbringen?“

Münster, 29. Januar 2016

Weihbischof Dr. Christoph Hegge
Regionalbischof für die Region Borken – Steinfurt

Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben

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