Predigt von Weihbischof Christoph Hegge am Hochfest Christi Himmelfahrt 2016

Liebe Schwestern und Brüder,

das Fest Christi Himmelfahrt hat seinen Grund in der Auferstehung Jesu Christi. Denn am Osterfest ist Jesus Christus nicht mehr sichtbar, nicht mehr greifbar, in Ort und Zeit feststellbar. Er ist auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Und dadurch hat er in die geschlossene Geschichte eine Öffnung gerissen, die sich nicht mehr schließen wird. Je mehr Versuche gemacht werden, sie zu stopfen, um so auffälliger wird sie. Gott reißt in Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi eine Öffnung in unsere Geschichte, in unser raum-zeitliches Denken hinein, um von nun an durch seinen Heiligen Geist auf ganz neue und endgültige Weise allen Menschen, die ihn aufnehmen, nahe sein zu können. Hierher rührt der bleibende Sendungsauftrag Jesu an seine Jünger: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, … und ihr werdet meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8), wie es in der Apostelgeschichte heißt. Und indem sie sich dem Herrn als Zeugen und Verkündiger zur Verfügung stellen, erleben sie, dass Christus selbst vom Himmel her der Handelnde bleibt. Sie verkünden und handeln „in seinem Namen“ (vgl. Mk 16,17), also in der Kraft, die allein der Herr wirkt. Das wird die Erfahrung der Apostel: Der erhöhte Herr handelt auch heute. Die ganze Apostelgeschichte ist voll von diesen Erfahrungen der Apostel, wenn sie Dämonen austreiben, Kranken die Hände auflegen, so dass sie gesund werden, Menschen die Hände auflegen und ihnen ihre Sünden vergeben, die Botschaft Jesu Christi verkünden und viele Zeichen in der Kraft des Geistes Christi wirken.

Ja, der auferstandene und in den Himmel aufgefahrene Christus hat in unsere menschliche Unheilsgeschichte endgültig eine Öffnung zum Himmel hinein gerissen, die nun nicht mehr geschlossen werden kann. Christi Himmelfahrt gibt unserem Christsein eine Richtung: Dass unsere Herzen zum Himmel hin geöffnet sind und uns im Heiligen Geist der Himmel ins Herz gelegt wird. Denn seit der Himmelfahrt des Auferstandenen lebt im innersten Geheimnis Gottes auf ewig ein menschliches Herz! Und zugleich erleben diejenigen, die sich der Liebe des auferstandenen Christus zuwenden: Der Herr ist auch heute im Heiligen Geist bei dir und bei mir, er lebt unter uns. „Denn im innersten Geheimnis deines und meines Herzens haben wir Gemeinschaft mit dem, der uns liebt bis zum Letzten und der ewig lebt und Leben schenkt durch seinen Geist!“ (nach K. Hemmerle) Diese Gegenwart des auferstandenen Herrn inmitten unserer Beziehungen, unserer Familien und Gemeinden zu bezeugen, bleibt unsere Sendung und unser Auftrag als österliche und pfingstliche Kirche.
Christsein bedeutet nach Christi Himmelfahrt daher auch, dass wir uns gewissermaßen nach der „Kultur des Himmels“ ausrichten, um mit Hand und Fuß eine neue Lebenskultur auf unserer Erde mit zu gestalten. Christi Himmelfahrt und Pfingsten begründen gewissermaßen eine „Standleitung“ zwischen dem auferstandenen und erhöhten Herrn und seiner Kirche, zwischen Christus und jedem einzelnen Gläubigen. Der offene Kanal des Himmels reicht bis in unsere Herzen, in unsere Existenz, in unsere Beziehungen hinein. Denn als pfingstliche Zeugen geben wir nicht einfach Auskunft von der Botschaft Jesu Christi, wir stehen und gehen für diese Botschaft, wir sind diese Botschaft durch unser Lebenszeugnis, ganz nach dem Wort des Apostels Paulus: „Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, … geschrieben … mit dem Geist des lebendigen Gottes, … in Herzen von Fleisch.“ (2 Kor 3,3)

Fragen wir uns: Was möchte diese nachdrückliche Berufung zur Zeugenschaft in uns heute bewirken? Ich meine zunächst und vor allem eine tiefe Freude, dass der Herr durch seinen Heiligen Geist bei uns bleibt, dass wir ihm immer und überall begegnen können, und wir ihn auch in dieser Stunde loben und preisen dürfen, weil sich erfüllt, was er verheißen hat: „Seid gewiss: Ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Unablässig ist der Herr zugegen, unablässig erneuert Christus die Herzen der Menschen, erneuert der Herr die Kirche, – wenn wir uns ihm nur ganz bewusst öffnen und ihn von Herzen ersehnen. Wir Christen verehren und lieben Gott, der in Jesus Christus und in seinem Geist mit uns auf dem Weg ist, der uns kennt, liebt und erlöst hat bis in all unsere menschlichen Abgründe und Dunkelheiten hinein. Und er ist und bleibt auch dann bei uns, wenn wir nach dem Gottesdienst nach Hause gehen. Ist uns das denn wirklich bewusst? Wir Christen feiern gerade heute den Christus, der mit uns auf dem Weg ist und bleibt, den Christus an unserer Seite. Der zum Himmel aufgefahrene Christus lädt uns ein, uns seiner bleibenden Gegenwart bewusst zu bleiben und ihn ganz bewusst in unseren Alltag hinein zu nehmen.

Und ein Zweites: Christi Himmelfahrt ermuntert uns immer wieder zum Aufbruch. Die Engel, die die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu fragen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11), könnten auch uns heute einladen, nicht stehen zu bleiben, nicht nostalgisch dem Gewesenen hinterher zu schauen, sondern in der Kraft des verheißenen Geistes aufzubrechen und heute lebendige Kirche und Gemeinde zu gestalten.

Mit all unserer Fantasie, mit allem, was uns umgibt, mit allem, was uns lieb und wertvoll ist, dazu beitragen, dass wir eine lebendige Gemeinde Jesu Christi aufbauen, dass unser Leben und tun beseelt wird von der konkreten Liebe Jesu Christi zum Nächsten, weil er sich selbst in jedem Mitmenschen wieder erkennt, wenn er sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40). Das heißt doch: Jeder Mensch ist es wert, geliebt zu werden mit der gleichen Liebe, mit der Jesus ihn liebt, weil Christus sich in jedem Menschen wieder erkennt. Und dass heißt auch: Noch aufmerksamer umzugehen mit meinen Mitmenschen, die Eheleute miteinander, die Eltern mit ihren Kindern und die Kinder mit ihren Eltern, die Familien miteinander und mit ihren Nachbarn, die Arbeitskollegen und die Mitschüler, alle miteinander sind wir eingeladen, uns mit dem Blick der Liebe Christi anzuschauen und tatkräftig und konkret SEINE Liebe und Barmherzigkeit unter uns mehr und mehr einzuüben.

In der Spur der Apostel nach der Himmelfahrt Christi einen ganz neuen, vom Geist Christi durchdrungenen Lebensweg zu gestalten, beinhaltet die aufmerksame Frage, welche Gabe mir von Christus zum Aufbau von Gemeinschaft und Gemeinde geschenkt wurde, wo meinem Bekenntnis zu Christus Taten folgen, die Zeugnis geben von der lebendigen, familiären Gemeinschaft des Leibes Christi. Seit Christi Himmelfahrt steht uns der Himmel offen. Öffnen wir unsere Herzen, indem wir auf den Geist Gottes hören, der uns unablässig geschenkt ist, damit uns die Fantasie nicht ausgeht, durch inständiges Gebet, durch Wort und Tat Zeugnis zu geben von der Zukunft unserer himmlischen Heimat, die bereits hier und heute in unserem Leben begonnen hat.

Foto: Michael Bönte, Kirche+Leben

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